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Jessy Rameik †

Abschied von einer Freundin

Der Autor Dr. Hans-Joachim Herrmann war einer der engsten Freunde von Jessy Rameik. SUPERillu.de veröffentlicht den Abschiedsbrief, den Herrmann für die berühmte Schauspielerin (u.a. „Florentiner 73”, „Das unsichtbare Visier” und „Gute Zeiten, schlechte Zeiten”) und Chanson-Sängerin geschrieben hat.

Von Dr. Hans-Joachim (Hajo) Herrmann

Jessy war eine unglaubliche Erscheinung, ganz egal, in welcher Lebensphase in welchem Alter. Sie wirkte durch ihre Schönheit, ihre Intelligenz, ihr rassiges Auftreten, ihr faszinierendes Charisma. Im Leben wie im Beruf brauchte sie sich nicht anzustrengen, um das zu erreichen, denn sie war einer der seltenen Menschen, die „es“ einfach hatten.



Jessy war eine Genießerin, gern mit anderen, aber auch ganz mit sich allein. Das betraf die Kunst, das Reisen, Kulinarisches und die Liebeslust. Trotz dieser ungewöhnlich starken Ausstrahlung hatte sie ein ständig durch Zweifel und Wankemütigkeit geprägtes Selbstvertrauen, was eigentlich sichere, klare Dinge betraf – wiederum im privaten wie auch im künstlerischen Bereich. Das machte sie besonders sympathisch und holte sie sogleich vom Divenpodest, doch es machte sie auch verletzlich, und in der heutigen Zeit der manirierten Vordrängler wurde ihr Zauber hinter vordergründigen kurpfuschenden Pseudoeffekten immer weniger wirksam.

So definierte sie übrigens Kitsch, indem sie feststellte, dass alle Effekte und Zutaten im Film oder auf der Bühne Kitsch seien, die eigentlich verzichtbar wären, wenn die schauspielerische Qualität und der Inhalt des Buches stimmen. Das betraf auch zu dick aufgetragenes Pathos – Jessy wirkte durch Sparsames so ähnlich wie die Dietrich (wer anderes hätte Marlene auch synchronisieren können, Jessy war in einigen Filmen ihre deutsche Stimme, das passte).

Jessy Rameik war eine der vielseitigsten darstellenden Künstlerinnen der DDR ab der 60er-Jahre. Große Filme, wunderbare Theaterinszenierungen, vor allem aber meisterhafte Chansoninterpretation sind mit ihrer Künstlerpersönlichkeit verbunden. Sie war zwar eine Gegenstromschwimmerin (übrigens eine sehr gute, trainierte, auch im Alter besonders fitte), die ihre sehr eigene, mitunter unbequeme Meinung hatte, nie politisch angepasst, nie in irgend einer Partei oder dergleichen Sinnesvereinigungen. Jessy verweigerte sich jeglichen Institutionen, war menschlich wie künstlerisch eine „Freie“.

© Hans-Joachim Herrmann
Eine Schauspiel-Dynastie: Jessy Rameik (2. von links) mit Ehemann Hasso Zorn † (u.a. „Das Mädchen Krümel”, er starb schon 2016), ihren Enkelsöhnen Constantin (u.a. „Tatort”) und Felix von Jascheroff („Gute Zeiten, schlechte Zeiten”) und Tochter Juana-Maria von Jascheroff (u.a. „Die Rettungsflieger”)

Natürlich hätte sie aufgrund ihrer vielen Hauptrollen in Theater oder in Kinofilmen Ensemblemitglied oder Mitglied der Filmakademie sein können, wollte das aber nie. Dafür war sie bei ihren Kollegen beliebt, weil sie weder stutenbissig, noch vordränglerisch agierte, sondern auch bei der schauspielerischen Arbeit eher Kumpel war. Und das bei ihrer attraktiven, geradezu damenhaften Erscheinung. Allerdings brachte diese Ehrlichkeit mit sich, dass Jessy nicht zu jenen gehörte, die nach einer Premiere lobhudelnd die Unzulänglichkeiten einer Inszenierung oder einer schauspielerischen Leistung unter den Teppich kehrte, sondern sie sagte das klar, freundlich, direkt. Nicht jeder ertrug so etwas mit Fassung. Aber es bewirkte eines: Wer mit Jessy zu tun hatte, musste sich auf ihr hohes Qualitätsniveau begeben, sonst klappte es nicht.

Eine solche Art, als Künstler zu arbeiten, passt sicher nicht mehr in die bunt-plätschernde Juxerei der meisten Film- und Fernsehproduktionen oder auch vieler Theater. Vor allem putzte Jessy nie Klinken, drängelte sich nie nach vorn, war davon überzeugt, dass sie nur dann sinnvoll eingesetzt werden kann, wenn sie bewusst gefunden und gefragt wird. Es war die alte Schule, die sie hier verkörperte, nicht jene spießige, wie in ihrem gleichnamigen Chanson, sondern die des Anstands

Die alten Kollegen wussten und schätzten das, jene, die mit Jessy viele Hauptrollen spielten und die auch diesbezüglich anders waren, etwa Armin Müller-Stahl, Wolfgang Kieling, Jürgen Hentsch, Otto Mellies, Dieter Mann, Ulrich Thein, Inge Keller... Und auch die Autoren nutzten die besondere Qualität dieser Jessy Rameik, mal in auf den Leib geschriebenen Drehbüchern (zum Beispiel „Florentiner 73“ von Renate Holland-Moritz), mal in sprachlichen Geniestreichen für Jessys Chansons, zum Beispiel durch Peter Ensikat oder Werner W. Wallroth.

Jessy liebte das genussvolle Leben mit allen seinen Reizen und Verführungen zu sehr, um sich an der Rampensauerei mancher ihrer Kollegen zu beteiligen. Trotz der Lust an ihrem Beruf war dieser für sie eben Arbeit. Sie brauchte keine Kamera oder keine Bühnenrampe, um ein Hochgefühl zu bekommen, das fand sie in ganz menschlichen, irdischen Freuden. So war es auch nicht verwunderlich, dass sich Jessy von einem gewissen Zeitpunk an nicht mehr in die Riege der sich vor dem Publikum verneigenden einreihte.

In ihren letzten Wochen, angeschlagen von Krankheit, war es ihr so auch möglich, mit ihrem unglaublich reichen, prallvollen Leben ruhig, gelassen und würdig abzuschließen. Sie beschwichtigte für sich und andere Zwiste, verabschiedete sich von Freunden und von ihrem eigenen Leben auf ihre ganz persönliche, großartige Weise. So blieb sie bis zum Schluss diese besondere Persönlichkeit Jessy Rameik, die von unzähligen Menschen genau so verehrt wurde und wird. Sie sagte in unserem letzten Telefonat: „Ich bin schon auf dem Weg auf die andere Seite. Bleibt ihr mal noch ein bisschen.“ Nun ist sie angekommen.