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© Michael Handelmann | SuperIllu
POLITIK-INTERVIEW

Reiner Haseloff (CDU): Die Leistungen der Ostdeutschen

„Was die Ostdeutschen geleistet haben, wird immer noch zu wenig gewürdigt“, meint Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) im Interview mit SuperIllu. Ein Gespräch über wirtschaftliche Erfolge, dringenden Reformbedarf bei den öffentlich-rechtlichen Sendern und eine mögliche neue Flüchtlingskrise.

© Robert Hensel | MDR
Die Zentrale des Mitteldeutschen Rundfunks in Leipzig. Haseloff fordert eine gründliche Reform des öffentlich-rechtlichen Systems.

Sachsen-Anhalt macht aktuell viele positive Schlagzeilen. Intel will in Magdeburg eine Chipfabrik mit Zehntausenden Arbeitsplätzen bauen. Daimler baut gerade in Halberstadt ein europaweites Logistikzentrum für Ersatzteile. Was zieht so viele große Firmen nach Sachsen-Anhalt - ein Bundesland, das noch vor etwa 15 Jahren wirtschaftlich betrachtet die „Rote Laterne“ hatte...?

Eine große Rolle spielt, dass wir auf allen Ebenen, von der Kommune bis zur Landesregierung ein sicherer, stabiler und kompetenter Partner für Investoren sind. Dass wir auch bereit sind, alles dafür zu tun, um für Wirtschaftsansiedlungen attraktiv zu werden, zum Beispiel durch die Erschließung neuer Gewerbeflächen. Auch die Verkehrsinfrastruktur kann sich sehen lassen. Bei der Ansiedlung von Daimler in Halberstadt hat sich zum Beispiel ausbezahlt, dass mit der A36 jetzt eine Autobahn dort hinführt, die es früher so nicht gab. Auch Magdeburg, wo Intel baut, ist verkehrstechnisch bestens angeschlossen, im Herzen Europas. Ein wichtiger Standortfaktor ist auch, dass wir sehr viel grünen Strom produzieren. Emissionsfreier Strom ist für viele Investoren inzwischen Bedingung. Der Osten ist hier insgesamt bundesweit vorne. Nach Brandenburg sind wir in Sachsen-Anhalt das Bundesland mit der zweithöchsten installierten Leistung an Windenergie pro Einwohner, bei Photovoltaik-Strom bundesweit auf Platz 3. Das macht uns wirtschaftlich sehr attraktiv.

Auch in Halle/Saale knallten jüngst die Sektkorken. Dort soll für 200 Millionen Euro ein „Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ entstehen. Was muss man sich darunter vorstellen?

Ein großer Erfolg und eine wichtige Aufgabe. Was die Ostdeutschen bei der friedlichen Revolution und nach der deutschen Wiedervereinigung geleistet haben, wird immer noch viel zu wenig gewürdigt. Und was ihnen ganz Deutschland zu verdanken hat. Besonders die jüngere Generation, die das alles nicht mehr miterlebt hat, ist oft erschreckend schlecht informiert. Daran sollte sich etwas ändern. Außerdem ist es so, dass diese große Transformation nicht nur bei uns im Osten, sondern in allen Ländern Mittel- und Osteuropas stattfand und bis heute stattfindet. Über das soll an diesem Zentrum geforscht, konferiert, ausgestellt und publiziert werden. Halle an der Saale hat sich dabei im Standortwettbewerb unter anderem gegen Leipzig/Plauen, Frankfurt/Oder und Eisenach durchgesetzt. Auch wenn wir dabei Wettbewerber waren, wünsche ich mir, dass die Wissenschaftler und Akteure aus diesen und noch viel mehr interessierten Städten eng mit dem neuen Zukunftszentrum kooperieren. Das Land Sachsen-Anhalt wird das nach Kräften unterstützen.

Anderes Thema: Rundfunkbeiträge. Sie fordern eine umfassende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?

Ohne wird es nicht gehen. Die Verantwortlichen bei den Sendern sollten sich hier auch nicht von einer vermeintlichen Stabilität täuschen lassen. Was droht, ist konkret, dass sich eine große Masse der Bürger der Zahlung der Beiträge verweigert. Solche Masseneffekte haben wir Ostdeutschen auch zur Wendezeit erlebt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss jetzt von selbst Bewegung zeigen. Oder er wird von anderen bewegt. Als Erstes müssen die Intendanten erkennen: Weitere Beitragserhöhungen sind den Menschen nicht vermittelbar. Wenn das Geld nicht reicht, müssen sie das tun, was auch jeder Unternehmer oder jede Familie tun muss, wenn die Einnahmen die Kosten nicht decken - sparen, finanziell die Reißleine ziehen. Sie müssen mit dem Geld auskommen, das sie haben.

 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss jetzt von selbst Bewegung zeigen. Sonst wird er von anderen wegbewegt.

Reiner Haseloff

Wo sollen sie sparen?

Das liegt doch alles seit Jahren auf dem Tisch. Verwaltungstechnische Wasserköpfe, astronomische Intendantengehälter, hohe Pensionsansprüche und Betriebsrenten, Doppelfunktionen, zahllose Radio-Sender, die keiner braucht. Oder schauen Sie sich an, wie viele teuer vom Gebührengeld produzierte Krimis jeden Tag auf den öffentlich-rechtlichen Sendern laufen. Im Fernsehen passieren ja pro Woche fast mehr Morde als in Deutschland im ganzen Jahr! Die Lizenzzahlungen an DFB oder FIFA für Fußballübertragungsrechte sind fraglich - auch wenn es hier sicher eine Grundversorgung geben sollte. Und schließlich ist es unnötig, dass mit ARD und ZDF gleich zwei sehr ähnliche bundesweite Vollprogramme nebeneinander laufen.

Corona, Putins Krieg in der Ukraine, Energienot, Inflation - Deutschland scheint in einer Dauerkrise zu stecken. Wann kommen wir da endlich wieder heraus?

Wir merken in solchen Zeiten, dass es Dinge gibt auf dieser Welt, die man nur bedingt beeinflussen kann. Und wir mussten lernen, dass die Jahrzehnte, die wir im Frieden erlebt haben, eben nicht selbstverständlich waren. Die Pandemie war eine Naturkatastrophe. Den Krieg haben Menschen, hat Putin, angefangen. Auch wenn wir dafür nichts können, sind wir davon alle existenziell betroffen, wenn auch jeder in unterschiedlichem Ausmaß. Es ist aber auch in beiden Fällen glücklicherweise nicht so weit gekommen, wie wir gedacht haben. Erinnern wir uns an die Ängste, die wir zu Anfang der Corona-Krise hatten! Und erinnern wir uns an die düsteren Prognosen unmittelbar nach Putins Überfall auf die Ukraine im vergangenen Februar. Corona haben wir hoffentlich weitgehend überstanden. Und die Ukraine gibt es noch. Wir haben in der Krise außerdem auch viel Solidarität erlebt, unter uns und mit den Flüchtlingen aus der Ukraine. Dann wurde wegen Putins Gasstopp Energie knapp und teuer. Viele fürchteten, dass es im Winter in vielen Wohnungen kalt wird. Und dass es politisch zu einem „Heißen Herbst“ kommt. Beides ist nicht eingetreten. Wir erleben stattdessen vergleichsweise große Einigkeit. Der überwiegende Teil der Deutschen in Ost und West ist klar der Meinung, dass das, was Russland dort macht, Unrecht ist, bei dem wir nicht tatenlos zusehen dürfen.

Nach zwölf Monaten dieses schrecklichen Krieges wachsen aber die Zweifel. Sind wir auf dem richtigen Weg? Alle sehnen sich nach Frieden, wie kommen wir dahin?

Wollen wir den Ukrainern sagen: Opfert euch, damit Ruhe ist? Hinter diesem Krieg steckt eine grundsätzliche Systemauseinandersetzung, zwischen den freiheitlichen Demokratien des Westens und den Autokratien, die leider zusammengerückt sind, Russland, China, Iran. Ohne den großen Willen der ukrainischen Bevölkerung zur Freiheit und zur Verteidigung ihrer Heimat gäbe es die Ukraine wahrscheinlich nicht mehr. Und ohne die Waffenlieferungen aus dem Westen, vor allem von den USA, ebenfalls nicht mehr. Auch wir Deutschen leisten unseren Beitrag. Das tun wir aber auch, indem wir viele ukrainische Flüchtlinge aufnehmen. Wir wer-den gemeinsam mit der EU nicht zuletzt den Wiederaufbau der Ukraine unterstützen. Wichtig ist, dass wir zusammenhalten, dass die freiheitlichen Demokratien hier mit einer Stimme sprechen. Wichtig ist auch, dass unsere Wirtschaft und unsere Unternehmen gut durch die Krise kommen und wir keine Deindustrialisierung erleben. Wir haben das bisher eigentlich nicht schlecht gemacht, aber wir stehen ohne Zweifel vor großen Herausforderungen. Ob hoffentlich bald wieder Frieden ist, kann nur einer entscheiden: Putin. Er hat den Krieg angefangen. Nur er kann ihn beenden.

Es kamen bisher über eine Million ukrainische Flüchtlinge. Wie kommen wir damit zurecht?

Zunächst einmal ein großes Lob für die vielen Bürger, die ihre Hilfe angeboten haben und weiter anbieten. Und die Landkreise, Städte und Gemeinden, die diese Herausforderung bisher hervorragend gemanagt haben. Aber auch ein großes Lob an die ukrainischen Flüchtlinge selbst. Sehr viele wohnen privat, helfen sich gegenseitig, bekommen auch viel Hilfe von unseren Bürgern. Nicht wenige haben auch schon einen Job gefunden, die meisten einen Sprachkurs besucht. Sie sind Europäer wie wir, kommen aus ähnlichen Verhältnissen, die Integration geht gut voran.

Zusätzlich stieg auch die Zahl der Migranten aus Nahost. Rund 250000 kamen in den letzten zwölf Monaten, viele Landräte und Bürgermeister schlagen jetzt Alarm...

Ja, ich bin intensivem Kontakt mit ihnen und weiß: Die Ressourcen sind nun ausgeschöpft. Wir mussten schon die Quadratmeterzahl reduzieren, die jedem Flüchtling in den Unterkünften zusteht, eine weitere Reduzierung ist nicht möglich. Die Grenze der Belastbarkeit ist jetzt erreicht. Wir haben schon Jugendherbergen angemietet, Pensionen, Hotels. Wenn die Bundesregierung es nicht schafft, die zahlenmäßige Zuwanderung zu begrenzen, dann sind wir nicht mehr in der Lage, zu verhindern, dass auch wichtige gesellschaftliche Infrastruktur in Beschlag genommen werden muss wie Sporthallen und Kultureinrichtungen.

Was sollte getan werden?

Es geht nicht, dass immer noch so viele Migranten faktisch illegal und unkontrolliert in den Schengenraum gelangen. Außerdem kommen überdurchschnittlich viele von diesen nach Deutschland, weil viele andere EU-Länder ihre Aufnahmeverpflichtungen nicht erfüllen. Hier müssen wir durchsetzen, dass die Abkommen zur Verteilung, die wir mit allen unseren EU-Partnern haben, auch eingehalten werden. Und drittens muss man die Entwicklung durch Zuwanderungsprogramme, wie sie die Bundesinnenministerin aktuell plant, nicht auch noch fördern. Es kann doch nicht sein, dass - wie dieser Plan u. a. vorsieht - Nicht-Regierungsorganisationen darüber entscheiden dürfen, wer bei uns einwandern darf.