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Deutsche Einheit

Vor 30 Jahren: Matthias Sammer schießt die letzten Tore der DDR

Am 12. September 1990 spielt die DDR-Auswahl ihr letztes Fußball-Länderspiel. Eduard Geyer erzählt, wie schwierig es war, überhaupt noch eine Mannschaft zusammenzustellen und warum Matthias Sammer dann doch nicht abreiste, obwohl er erst wollte

In diesem Artikel lesen Sie:

  • Die Geschichte des letzten Fußball-Länderspiels der DDR mit einem Interview mit dem damaligen Trainer Eduard „Ede” Geyer.
  • Die wichtigsten Fakten zur Geschichte der DDR-Fußball-Länderspiele.

12. September 1990: Ein historischer Tag

Unterschriften in Moskau, Anstoß in Brüssel

Der 12. September 1990, ein Mittwoch, war ein denkwürdiger Tag. In Moskau besiegelten Ministerpräsident Lothar de Maizière und die Außenminister Hans-Dietrich-Genscher (Bundesrepublik), Eduard Schewardnadse (UdSSR), James Baker (USA), Roland Dumas (Frankreich) und Douglas Hurd (Großbritannien) mit ihren Unterschriften unter den „Zwei-plus-vier-Vertrag” die deutsche Wiedervereinigung und damit das Ende der DDR. Am diesem politisch historischen Tag wurde 2500 Kilometer weiter westlich ebenso ein Kapitel deutscher Sportgeschichte besiegelt: Die DDR-Auswahl bestritt ihr letztes von insgesamt 293 Länderspielen.

Im Brüsseler Constant-Vanden-Stock-Stadion, wo bis heute der RSC Anderlecht seine Heimspiele austrägt, gelang der DDR-Fußball-Nationalmannschaft vor rund 10 000 Zuschauern ein sensationeller 2:0-Auswärtssieg gegen die hochfavorisierten Belgier. Die Kicker aus dem dreisprachigen Königreich um ihren Star Enzo Scifo (heute U15-Trainer Belgiens) waren damals europäische Spitzenklasse, und außerdem trat Gegner DDR nur mit einer besseren C-Elf an. Denn die Voraussetzungen für den Abschied des Deutschen Fußball-Verbandes (DFV) von der internationalen Bühne waren nicht besonders gut.

Das war an und für sich schon eine bittere Angelegenheit

Eduard „Ede” Geyer, letzter Trainer der DDR-Auswahl
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Eduard „Ede” Geyer, 75, letzter Trainer der DDR-Auswahl

Am letzten Fußball-Spiel der DDR-Auswahl hatte kaum jemand Interesse

„Das war an und für sich schon eine bittere Angelegenheit“, erinnert sich Trainerlegende Eduard „Ede“ Geyer, 75. Der damalige DDR-Nationaltrainer war von seinen besten Spielern im Stich gelassen.

Von den insgesamt 36 Nominierten, darunter auch die späteren gesamtdeutschen Nationalspieler Ulf Kirsten, Andreas Thom und Thomas Doll, sagten 22 ihre Teilnahme für das Fußball-Spiel ab. Einige erklärten ihr Nichterscheinen sogar mit fadenscheinigen Begründungen, wie einem fehlenden Reisepass oder Motivationsproblemen. Für Geyer waren das nur schlechte Ausreden.„Viele unserer Spieler standen derweil schon bei Westvereinen unter Vertrag und ich vermute, dass sie für das Spiel ohnehin keine Freigabe erhalten hätten.“

Außerdem bekamen sie ihre lang ersehnten D-Mark-Gehälter längst von finanzkräftigen Bundesligavereinen ausgezahlt. Die Fußball-Idole der Nation hatten Angst, sich in einem unwichtigen Spiel für ihr ohnehin untergehendes Land zu verletzen. Der einzige, der zur Laänderspiel-Vorbereitung nach Brandenburg rüberkam, war Matthias Sammer.

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74. Minute. Kapitän Matthias Sammer, gerade 23 Jahre alt geworden und seit Sommer 1990 beim VfB Stuttgart, schießt das 1:0 für die DDR. Eine Minute vor Ende der Partie schießt der gebürtige Dresdner auch noch das 2:0

Als Matthias Sammer, damals angestellt beim VfB Stuttgart am Treffpunkt in Kienbaum ankam und in die Runde blickte, sah er nur 13 Kollegen. Die meisten jung und unerfahren. Sammer wollte gleich wieder umkehren, doch es ging kein Flugzeug mehr. Sammer flog mit nach Belgien, auf der Ersatzbank saßen so immerhin zwei Feldspieler. Und Sammer sagte 2019 in der Dokumentation des NDR-Sportclubs (Video siehe unten): „Heute bin froh, dass ich dabei war. Heimat war mir immer wichtig.”

Von den Drückebergern war Trainer Geyer schwer enttäuscht, zumal das Spiel die letzte Gelegenheit für eine Zusammenkunft der DDR- Nationalmannschaft bot. „Ich wollte, dass wir unser Abschiedsspiel ordentlich über die Bühne bringen und uns im Anschluss noch mal mit allen zusammenhocken und ein Bier trinken, bevor danach jeder seinen eigenen Weg geht.“

Neben dem Desinteresse vieler Spieler zeigte man sich auch in der Heimat wenig begeistert. Das DDR-Fernsehen übertrug das Spiel nicht mal live – stattdessen zeigte DFF 1 den italienischen Ulkfilkm „Neros tolle Nächte” und DFF 2 das Italo-Drama „Die zwei Leben des Mattia Pascal” mit Marcello Mastroianni in der Hauptrolle.

Erst zwei Tage später, am 14. September 1990, zeigte DFF2 um 22:50 Uhr in „Sport aktuell” eine 56minütige Zusammenfassung des sporthistorischen Spiels.

Video: „Sport aktuell”-Zusammenfassung des Spiels Belgien gegen die DDR

Die 14 Mann haben ein super Spiel gemacht.

Eduard „Ede” Geyer, letzter Trainer der DDR-Auswahl

Matthias Sammer wurde Kapitän der letzten DDR-Nationalmannschaft

Eduard „Ede” Geyer musste sich also schließlich mit einem 14-köpfigen Kader zufriedengeben. Sein letztes Aufgebot war jung und unerfahren, brachte es im Schnitt auf gerade einmal zehn Länderspieleinsätze pro Kopf. Der einzige Star, der seiner Berufung in die DDR-Auswahl nachkam, war der damals 23jährige Matthias Sammer, den Geyer zum Kapitän machte.

Mit einer „Not-Elf“ begab sich die DDR nach Brüssel zum Stelldichein mit dem vermeintlich übermächtigen Gegner. Geyer wollte das Spiel zwar unbedingt gewinnen, wusste die Kräfteverhältnisse aber einzuordnen. „Die Belgier hatten eine sehr starke Mannschaft, die wenige Monate vorher eine sehr starke WM spielte und nur mit Pech im Achtelfinale beim Elfmeterschießen an England scheiterte.“

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Der gebürtige Altenburger Uwe Rösler, zu dieser Zeit für den 1. FC Magdeburg stürmend, im Zweikampf mit dem belgischen Verteidiger Philippe Albert. Uwe Rösler ist heute Trainer von Fortuna Düsseldorf

Doch seine Truppe ließ sich davon nicht beeindrucken und war von Beginn an die spielbestimmende Mannschaft. Schließlich gewann sie hochverdient mit 0:2. Die beiden Tore erzielte Sammer jeweils in der 74. und 89. Spielminute. Geyers Resümee: „Die 14 Mann haben ein super Spiel gemacht.“

Alle drei Ersatzspieler kamen zum Einsatz. Ersatztorhüter Jens Adler wurde drei Minuten vor Spielende eingewechselt, war so der letzte Nationalspieler der DDR. „Das war für ihn eine schöne Sache, dass er kurz vor Schluss noch zu seinem Länderspiel-Debüt kam“, erklärt Geyer die Geste. Den Ball bekam er kein einziges Mal zu fassen. Nach dem Spiel aber hatte er Tränen in den Augen. Er war auch der einzige Spieler, der danach nicht in der Bundesliga spielen sollte.

Ich denke eher, dass die BRD vor uns die Hosen voll hatte

Eduard „Ede” Geyer, letzte Trainer der DDR-Auswahl

Eigentlich hätte es noch ein deutsch-deutsches Länderspiel geben sollen

Ursprünglich sollte das Spiel der Auftakt für die Qualifikation zur Fußballeuropameisterschaft 1992 in Schweden werden. Die DDR wurde in die Gruppe fünf gelost, in der neben Belgien auch Wales, Luxemburg und die BRD vertreten waren.

Doch zum zweiten deutsch-deutschen Duell der beiden A-Nationalmannschaften nach der WM 1974 sollte es nicht mehr kommen. Nachdem am 31. August 1990 im Einigungsvertrag beide deutsche Staaten mit der Auflösung der DDR und ihrem Beitritt zur BRD die Wiedervereinigung Deutschlands beschlossen hatten, zog der DFV seine Mannschaft von der Qualifikation zurück.

„Das kam alles sehr plötzlich“, erinnert sich Geyer. „Ich war ja kurz zuvor noch in Stockholm bei der Gruppenauslosung und auf einmal erhalte ich die Nachricht, dass wir an der Qualifikation dann doch nicht teilnehmen werden.“

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Auswahl-Trainer Eduard Geyer und Mannschaftsarzt Dr. Wolfgang Klein (starb im Juni 2011) jubeln über den 2:0 Sieg über Belgien im letzten Länderspiel der DDR

Da das erste Spiel in Belgien jedoch bereits durch den europäischen Fußballverband UEFA terminlich angesetzt war, wurde es kurzerhand als Freundschaftsspiel ausgetragen. „Das alles war schon eine verrückte Kiste, wie es damals ablief.“

Das Aufeinandertreffen mit der BRD, das am 21. November im Leipziger Zentralstadion nach dem Einigungsvertrag nun statt als Qualifikationsspiel als „Vereinigungsspiel“ geplant war, und damit eigentlich das letzte Spiel der DDR gewesen wäre, wurde aus vermeintlichen Sicherheitsgründen eine Woche vor dem Anpfiff abgesagt. Daran will Geyer aber nicht so recht glauben. „Ich denke eher, dass die BRD vor uns die Hosen voll hatte“, sagt er und grinst.

Denn das Team der DDR war damals vielleicht so gut wie nie zuvor. Ein paar Monate zuvor gewannen sie in Schottland, in Rio de Janeiro holten sie gegen Brasilien gar ein 3:3. Und fast hätte sich die Mannschaft auch für ihre zweite WM qualifiziert – wenn nicht der Mauerfall und der Ausverkauf der Fußball-Oberliga dazwischen gekommen wäre...

Video: NDR-Doku „Das letzte Länderspiel der DDR”

Der Kader der letzten DDR-Nationalmannschaft

  • Jens Schmidt, FC Karl-Marx-Stadt
  • Heiko Peschke, FC Carl Zeiss Jena
  • Detlef Schößler, SG Dynamo Dresden
  • Jörg Schwanke, BSG Energie Cottbus
  • Andreas Wagenhaus, SG Dynamo Dresden
  • Heiko Bonan, BFC Dynamo Berlin
  • Matthias Sammer, VfB Stuttgart, Kapitän der Mannschaft
  • Jörg Stübner, SG Dynamo Dresden (†2019)
  • Dariusz Wosz, HFC Chemie Halle
  • Uwe Rösler, 1. FC Magdeburg
  • Heiko Scholz, 1. FC Lokomotive Leipzig
  • Jens Adler, HFC Chemie Halle
  • Stefan Böger, FC Carl Zeiss Jena
  • Torsten Kracht, 1. FC Lokomotive Leipzig

Bilanz der der DDR-Nationalmannschaft

  • Länderspiele: 293
  • Siege: 138 (Heim: 81, Auswärts: 57)
  • Unentschieden: 69 (Heim: 34, Auswärts: 35)
  • Niederlagen: 86 (Heim: 26, Auswärts: 60)
  • Tore : 501:345 (Heim: 269:133, Auswärts: 232:212)

Das Logo des Deutschen Fußball Verbandes

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Das Logo des Deutschen Fußball Verbandes

Sportliche Erfolge der DDR-Nationalmannschaft

  • Bronzemedaille, Olympische Spiele in Tokio, 1964
  • Bronzemedaille, Olympische Spiele in München, 1972
  • 6. Platz, Weltmeisterschaft in der BRD, 1974
  • Goldmedaille, Olympische Spiele in Montreal, 1976
  • Silbermedaille, Olympische Spiele in Moskau, 1980

Die Trainer der DDR-Nationalmannschaft

  • Willi Oelgardt: 21.09.1952 – 14.06.1953
  • Hans Siegert: 08.05.1954 – 24.10.1954
  • János Gyarmati: 18.09.1955 – 27.10.1957
  • Fritz Gödike: 04.05.1958 – 28.06.1959
  • Heinz Krügel: 12.08.1959 – 16.04.1961
  • Károly Soós: 14.05.1961 – 18.11.1967
  • Harald Seeger: 06.12.1967 – 19.12.1969
  • Georg Buschner: 16.05.1970 – 10.10.1981
  • Dr. Rudolf Krause: 11.11.1981 – 24.08.1983
  • Bernd Stange: 12.10.1983 – 30.11.1988
  • Manfred Zapf: 13.02.1989 – 20.05.1989
  • Eduard Geyer: 23.08.1989 – 12.09.1990

Rekord-Nationalspieler der DDR

  • Joachim Streich, 102 Spiele
  • Hans-Jürgen Dörner, 100 Spiele
  • Jürgen Croy, 94 Spiele
  • Konrad Weise, 86 Spiele
  • Eberhard Vogel, 74 Spiele
  • Bernd Bransch, 72 Spiele
  • Peter Ducke, 68 Spiele
  • Martin Hoffmann, 66 Spiele
  • Lothar Kurbjuweit, 66 Spiele
  • Ronald Kreer, 65 Spiele
  • Gerd Kische, 63 Spiele
  • Matthias Liebers, 59 Spiele

Die häufigsten Gegner der DDR-Nationalmannschaft

  • Polen: 19 Begegnungen
  • Bulgarien und Rumänien: Jeweils 18 Begegnungen
  • Tschechoslowakei und Sowjetunion: 17 Begegnungen
  • Ungarn: 16 Begegnungen
  • Island: 11 Begegnungen