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© Petra Schneider-Schmelzer | SuperIllu
Report

Deutschlands Krankenhaus-Notstand

Deutschland hat zu viele, zu kleine, zudem wenig spezialisierte Kliniken. Eine Kranken­hausreform soll und muss das ändern, darin sind sich alle Beteiligten einig. SuperIllu hat eine Klinik in Ribnitz-Damgarten besucht, um herauszufinden, was die Region erwartet.

Der Zeh ist nicht gebrochen, auch wenn die junge Frau vor Schmerz nicht auftreten kann. Am Eingang wartet ein Taxifahrer; er erzählt, dass er seinen Fahrgast von der Krebstherapie abholt. Auf der Intensivstation liegt ein Patient im Sterben... SuperIllu erlebt einen normalen Krankenhausbetrieb beim Besuch der Bodden-Klinik in Ribnitz-Damgarten. Doch wie lange wird dieser Alltag noch so weiterlaufen?

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Bleibt die Notaufnahme? Besser wäre es wohl. Bei Arzt Matthias Lange landen auch viele verunfallte Touristen. Bis zur nächsten Notaufnahme in Rostock sind es 40 km.

Geplante Krankenhausreform

Denn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant gemeinsam mit Vertretern der Bundesländer eine Krankenhausreform. Ziel sei eine bedarfs-gerechte Versorgung, bei der „nicht die Ökonomie, sondern die Patienten im Mittelpunkt stehen.“ Zwar sind sich alle Beteiligten einig, dass Klinikstruktur und -finanzierung reformiert werden müssen, loben ausdrücklich die geplante Versorgungspauschale (siehe Seite 17), gleichzeitig wird die Reform energisch kritisiert. Denn auch wenn viele Häuser, vor allem kleinere, existenzbedroht sind, fürchten sie durch die Reform gänzlich ihre Daseinsberechtigung zu verlieren, heißt es aus den Ländern.

Die Bodden-Klinik im Landkreis Vorpommern-Rügen ist so eine Klinik. Mit 180 Betten ist sie eigentlich zu klein, um effizient wirtschaften zu können. Dennoch sind Geschäftsführer Gunnar Bölke und Landrat Stefan Kerth (SPD) mit der wirtschaftlichen Situation des Hauses nicht unzufrieden. Zumindest waren sie es nicht bis 2022. Dann fuhr auch die Bodden-Klinik durch Energiekrise und Inflation wirtschaftliche Verluste ein. In den Jahren zuvor gelang es immerhin einen Überschuss von ein, zwei Prozent zu erwirtschaften. Das ist solide und laut Geschäftsführer Bölke auch dem Umstand zu verdanken, dass die Krankenhausgesellschaft Mecklenburg- Vorpommern schon in den 90er Jahren dem Flächenland eine angemessene Klinikstruktur verordnet hatte. 37 Kliniken verteilen sich auf 74 Standorte; pro 100000 Einwohner stehen 624 Betten bereit. Damit liegt MV bundesweit an siebter Stelle. Bremen (Platz 1) hat 747 Betten. Vergleicht man die OECD-Länder miteinander, rangiert Deutschland unter den Top-3, davor sind nur Japan und Korea. Zudem werden hier mehr stationäre Eingriffe durchgeführt als in den meisten anderen Ländern.

Kritik der Länder

Zurück in die Bodden-Klinik. Das Krankenhaus hat eine Notaufnahme, HNO-Abteilung, Orthopädie und Unfallchirurgie, Allgemein- und Viszeralchirurgie, Innere Medizin und Anästhesiologie sowie Intensivmedizin. Viele Abteilungen in einem im Grunde zu kleinen Haus, das viele Fachkräfte bindet, die in anderen Kliniken fehlen. Das will die Reform ändern. Obenauf ist die Bodden-Klinik ein Hernien- und Endoprothetik-Zentrum. Patienten mit Eingeweidebrüchen sind hier in guten Händen; Menschen mit Schulter-, Hüft- oder Knieproblemen haben gute Chancen, sie hier loszuwerden. Diese über Jahre erarbeitete Kompetenz droht der Region durch die Reform verloren zu gehen, fürchten der Ärztliche Direktor Hans-Martin Benad, Pflegedienstleiterin Christina Preußler und Geschäftsführer Gunnar Bölke gleichermaßen. Grund ist die geplante – und zugleich umstrittene – Einteilung der Krankenhäuser in Versorgungsstufen, Level genannt. „Würden wir ein Haus des LevelsI, das die medizinische Basisversorgung umfasst, müsste unsere Endoprothetik-Abteilung schließen.“ Lange sah es danach aus. Nach Kritik aus den Ländern musste der Bund in dieser Frage nachsteuern und die Pläne dahin gehend ändern, Level mit einer Leistungsgruppe zu verknüpfen. Dr. Benad erklärt: „Wir operieren über 500 Schultern, Hüften und Knie im Jahr, sind durch die Menge sehr erfahren und erbringen nachweislich eine sehr gute Qualität. Deshalb besteht die Chance, die Abteilung zu halten.“

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Dr. Hans-Martin Benad: „Junge Ärzte arbeiten gern an kleinen Kliniken. Doch die Reform gefährdet das Weiterbildungssystem“

Leistungsgruppen und Fallpauschalen

Die Sorgen sind damit nicht vom Tisch. Leistungsgruppen seien eben an Fallzahlen geknüpft, die man im dünn besiedelten Flächenland mit nur 1,6 Millionen Einwohnern nicht bei jedem Eingriff erreicht, etwa bei bestimmten Krebsdiagnosen. Chefarzt Benad: „Dennoch können wir und andere Kliniken solche Eingriffe in sehr guter Qualität leisten, auch wenn wir leicht unter den erforderlichen Zahlen liegen.“ Aber die in der Reform geplante Verknüpfung von Qualität und Menge duldet keine Ausnahmen. Bleibt es dabei, könnten Patienten, etwa mit Darmtumoren, nicht mehr wohnortnah versorgt werden, müssten nach Stralsund (50km) oder Rostock (40 km) ausweichen. Natürlich seien Ballungszentren medizinisch oft überversorgt, gibt Geschäftsführer Bölke zu. „An jeder Ecke können dort die gleichen Leistungen erbracht werden. Bei uns im ländlichen Raum ist das nicht so.“ Hans-Martin Benad vermisst das Vertrauen in die Ärzte, selbst zu entscheiden, ob eine Behandlung angeboten wird. „Mir muss nicht die Politik sagen, was gut für den Patienten ist.“ Auch weil in den 20 Jahren seit Einführung der Fallpauschalen nicht alle Kliniken verantwortungsvoll entschieden haben, steht das System vor dem Kollaps. Vor allem privat geführte, auf Rendite getrimmte Häuser, spielten dabei eine entscheidende Rolle.

Überwiegender Personalmangel

Die Reform, so wird oft betont, sei auch nötig, weil schon jetzt Personal fehle. Bis 2035 werde der Bedarf um 31 Prozent steigen. Auch in der Bodden-Klinik herrscht Fachkräftemangel, aber nicht so extrem wie in anderen Häusern, sagt Pflegedienstleiterin Preußler. Das Haus nahe der Ostsee sei ein attraktiver Standort. „Doch wenn uns die Reform zum Grundversorger herabstuft, gehen unsere Fachleute weg.“ Aber nicht etwa in eine andere Klinik, viele würden auch die Branche verlassen, um nicht noch weiter fahren zu müssen, nach Rostock oder Stralsund. Auch Chefarzt Benad hat den Nachwuchs im Blick. „Junge Kollegen folgen dem Know-how. Wenn das Spektrum des Krankenhauses zu klein wird, kann der engagierteste Weiterbilder nichts mehr vermitteln.“ Das neue System könnte das Personal fachlich unterfordern – und zudem die Versorgung der Bürger im deutschlandweit fünftgrößten Landkreis schwer beeinträchtigen, fürchtet Landrat Stefan Kerth. Schon jetzt sei es ein Problem, zeitnah einen Facharzttermin zu bekommen. „Würde die Bodden-Klinik Aufgaben abgeben müssen, verschlechtert sich die Situation der Bürger noch und übrigens auch die vieler Touristen, die im Urlaub bei uns mit dem E-Bike stürzen.“

Pyramide der Gesundheitsversorgung: Vorschlag des Leistungsspektrums

Einblicke in die Pläne

Um 21 Prozent hat sich die Zahl der Krankenhäuser in den letzten 30 Jahren reduziert. Dennoch ist das System ineffizient, viele Häuser existenzbedroht. Die Reform will das ändern

Krankenhausversorgung soll bedarfsgerecht werden

Modern und bedarfsgerecht soll die Krankenhausversorgung werden, so der Ansatz der Regierungskommission unter Leitung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Und wie ist sie aktuell? Seit 2002 finanzieren sich Krankenhäuser über DRGs (Diagnosis Related Groups), sogenannte Fallpauschalen. Dieses System führte zu erheblichen Fehlanreizen – der Leistungsbezug begünstigte die Ausweitung stationärer Behandlungen und eine Übertherapie. Vereinfacht gesagt: Es wurde mehr operiert als nötig, auch von Abteilungen, die technisch, personell und qualitativ nicht dafür ausgestattet waren. Das will die Reform ändern. Der Vorschlag sieht vor, die Finanzierung neu aufzustellen. So macht die fallabhängige Vergütung künftig nur noch 40 Prozent aus. 60 Prozent der Mittel gibt es dann für sogenannte Vorhalteleistungen. Kliniken erhalten Geld dafür, dass sie Technik und Personal für bestimmte Leistungen zur Verfügung stellen. Das soll den wirtschaftlichen Druck reduzieren. Es muss nicht operiert werden, um Geld zu verdienen.

Anreize zur Kooperation schaffen

Gleichzeitig sieht die Reform eine Neustrukturierung der Krankenhauslandschaft vor. Nicht jede Klinik soll alle Leistungen anbieten. So will man Anreize zur Kooperation zwischen Krankenhäusern schaffen. Weniger, dafür aber spezialisierte Kliniken sollen die Versorgungsqualität für die Patienten erhöhen. Auch dem Fachkräftemangel will die Reform so entgegenwirken.

Notwendige Einteilung in Versorgungsstufen

Laut Bundesgesundheitsminister ist es zudem notwendig, Krankenhäuser in Versorgungsstufen, sogenannte Level, einzustufen. Level I umfasst die medizinische und pflegerische Basisversorgung, z.B. grundlegende chirurgische Eingriffe und Notfälle. Level I sieht außerdem eine Unterscheidung mit und ohne Notfallversorgung vor. Level II entspricht der Regel- und Schwerpunktversorgung. Level III steht für eine Maximalversorgung, z.B. in Universitätskliniken. Die Länder lehnen diese Form der Kategorisierung jedoch ab.

So geht es weiter

Vor der parlamentarischen Sommerpause will der Bundesgesundheitsminister mit den Ländervertretern einen Reformvorschlag entwickeln, der über den Sommer zum Gesetzentwurf ausgearbeitet wird. Im Januar 2024 könnte die Reform starten. Dennoch erwartet der Minis- ter für 2024 ein schwieriges Jahr für Kliniken „mit vielen Insolvenzen“. Die neue Finanzstruktur greift erst 2025.

© Ministerium für Soziales, Gesundheit und Sport

Interview mit Mecklenburg-Vorpommerns Gesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD): „Wir wollen jeden Standort erhalten!“

Die neue Reform ist zwingend notwendig, wirft aber viele Fragen auf. Was sagt die Landespolitik zu den Plänen von Karl Lauterbach? Für viele Bürger ist die medizinische Versorgung vor der Haustür ein emotionales Thema. Bei der Neuaufstellung der Kliniklandschaft sind Bund und Länder gefordert. SuperIllu sprach mit Mecklenburg-Vorpommerns Gesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD) über den Stand.

Frau Drese, welche Chancen bringt die Reform mit sich?

Für den Bürger ist das gut. Durch die Neuaufstellung wollen wir die Versorgung im ländlichen Bereich qualitativ verbessern. Gleichzeitig wird die Finanzierung neu strukturiert. Dafür müssen wir medizinische Leistungen, die nicht täglich anfallen, bündeln. Nehmen wir eine Blinddarm-OP. Die sollte in dem Krankenhaus durchgeführt werden, das am besten dafür ausgestattet ist. Dennoch müssen genügend Standorte im Notfall einsatzbereit bleiben.

Denken Sie, die medizinische Versorgung der Bürger im Flächenland ist gefährdet?

Ganz im Gegenteil. Wir wollen jeden Standort erhalten. Im Vergleich zu anderen Bundesländern haben wir in MV nicht ganz so viel zu tun, weil wir bereits Anfang der 1990er Jahre gute Vorarbeit geleistet haben. Wir haben eine gute Struktur.

Dennoch sind die Wege oft weit. Wie lange braucht man zum nächsten Krankenhaus?

Unser Ziel ist, dass 90 Prozent der Bevölkerung im Notfall nicht länger als 30 Minuten fahren.

Krankenhausplanung ist Ländersache. Ist es richtig, das Thema bundeseinheitlich zu regeln?

Die Reform will qualitative Standards festlegen. Hierfür braucht es einen bundeseinheitlichen Rahmen. Doch gerade Flächenländer brauchen Öffnungsklauseln, weil sie die regionalen Besonderheiten besser kennen: Wir wissen am besten, in welchem Krankenhaus, welche Leistung angeboten werden kann oder muss. 

Interview von C. Mackes