Menü
SUPERillu
Made with in Offenburg
© imago/Gueffroy
30. Todestag

Helga Hahnemann: Rätsel um ihren letzten Willen

Sie war die größte Entertainerin des Ostens: Zu ihrem 30. Todestag blickt SuperIllu zurück, lässt Freunde und Kollegen zu Wort kommen und verfolgt die Spur ihres Erbes.

Von Katharina Schnurr und Victoria Teichert

Ein trauriger Tag: Am 20. November 1991 starb Helga Hahnemann. Die Entertainerin erlag einem Krebsleiden, wurde nur 54 Jahre alt. Doch die Zeit, die ihr auf dieser Erde gegeben war, hat sie mit Humor, Liebe und jeder Menge Lebensfreude gefüllt.

© Imago Stock
Die „Henne“ 1984 als Traudel Schulze, eine ihrer Paraderollen.

Der Erfolg der Entertainerin

Schon als Kind wusste Helga, was sie mal werden wollte: „Quatschmacher!“ Und so kam es. Nach der Schauspielschule eroberte sie die Leipziger Pfeffermühle und wurde kurz darauf Ensemblemitglied des Deutschen Fernsehfunks. Ob als Moderatorin von TV-Shows wie „Ein Kessel Buntes“, als Schauspielerin in Erfolgen wie der „Maxe Baumann“-Reihe oder als Ulknudel in Sketchen mit Kultstatus: Mit ihrem Herz am rechten Fleck und der „Berliner Schnauze“ eroberte sie die Fans im Sturm. Ihre Lieder wie „100 mal Berlin“ oder „Jetzt kommt dein Süßer“ – letzteres brachte ihr den Spitznamen „die Süße“ ein – sind heute sogar im Internet verewigt.

An ihrer Seite seit 1972: Ihre Texterin und Vertraute Angela Gentzmer sowie ihr Komponist und Freund Arndt Bause. Zu dritt waren sie unschlagbar: „Die eine schreibt mir die Texte direkt auf den Leib und der andere macht genau die Musik, die ich auch singen kann“, erklärte Helga Hahnemann, im Volksmund längst die „Henne“: „Ich muss also nicht mehr ‚hinter‘ meiner Interpretation stehen; ich bin eben so!“ (Aus „Das dicke Helga-Hahnemann- Buch“ von Angela Gentzmer).

Für die Künstlerin war das Publikum alles: „Abend für Abend heißt es, so lange zu ackern, bis du die Zuschauer ‚hast‘. Und die merken natürlich auf Anhieb, wenn einer sie verarscht…“ Dann scherzte sie: „Das schlaucht natürlich, mein lieber Scholli! Bloß schlank macht’s leider nicht…“

Auch nach der Wende konnte „Big Helga“ ihren Erfolg fortsetzen: 14 Tage am Stück trat sie im Westberliner Kabarett „Die Wühlmäuse“ auf und begeisterte 5000 Zuschauer im ICC. Ende 1991 sollte sie dort wieder auftreten. „Sie war mächtig stolz, dass alle Vorstellungen lange im Voraus ausverkauft waren“, erinnerte sich ihre Freundin, die Westberliner Charity-Lady Ulla Klingbeil 2002 in SuperIllu. Doch diese Auftritte sollte sie nicht mehr erleben, auch wenn sie bis zuletzt ihren Lebenswillen nicht verlor. Noch kurz vor ihrem Tod sagte sie zu Ulla Klingbeil: „Det mit dem Sterben passt mir jetzt überhaupt nich…“

Sie hatte ein großes Herz

Was von ihr bleibt, ist weit mehr als die Erinnerung an eine Ausnahmekünstlerin: Helga Hahnemann war vor allem eine gute Seele. Als ihre Freundin Ingeborg Krabbe (†2017) 1968 an der Wirbelsäule operiert wurde, schmiss Helga wochenlang deren Haushalt – zwei Kinder inklusive! Auch „Big Helgas“ Bühnenpartnerin Dagmar Gelbke erzählt: „Helga hatte Verständnis für menschliche Beziehungen und wollte, dass sich alle lieb haben.“ Auch auf ihren legendären Partys habe man das immer gemerkt. „Aber sie hatte auch ein großes Herz für Tiere und Kinder. Vielleicht kam das daher, dass sie in ihrem Leben oft enttäuscht wurde…“

© imago/Gueffroy
Helga Hahnemann 1984 im Clip zum Song „Clärchens Ballhaus“, den sie zusammen mit Hartmut „Muck“ Schulze-Gerlach performte.

Ihr letzter Wille

Ihre Liebe zu Tieren, ganz besonders zu Katzen, schlug sich auch in ihrem letzten Willen nieder. Nach ihrem Tod kümmerte sich zunächst Barbara, eine gute Freundin, um Helgas Haus. „Mein Mann und ich haben so lange die Betriebskosten dafür bezahlt“, sagt Ulla Klingbeil. „Barbara war eine treue Freundin. Sie war immer dann da, wenn Helga nicht da war. Es musste sich ja auch jemand um die Katzen kümmern.“ Dann aber wurde das Haus verkauft: „Ursprünglich sollte der Erlös an UNICEF und das Tierheim Berlin vererbt werden“, sagt Ulla Klingbeil. „Allerdings hat UNICEF verzichtet und alles ans Tierheim gegeben.“ Insgesamt sollen es rund 400000 Mark gewesen sein. „Mehr hatte Helga nicht.“ Das Tierheim Berlin widmete der Spenderin das Katzenhaus „Samtpfötchen“: „Helga Hahnemann hat uns mit ihrem Erbe großzügig unterstützt.“

© imago stock&people
Ihr Grab auf dem Friedhof Pankow VII in Berlin-Wilhelmsruh.

Sie diktierte ihrer Freundin ein neues Testament

Rätsel wirft nun auf, dass die Entertainerin laut Ulla Klingbeil ihren letzten Willen kurz vor ihrem Tod noch mal ändern wollte. Klingbeil erinnert sich: „Im Krankenhaus hat sie mir ihr Testament diktiert.“ Angeblich sollte ihre Schwester, mit der sie kaum Kontakt hatte, einen Betrag bekommen, um damit die Mutter im Altersheim zu unterstützen. Ein weiterer Betrag sollte an ein Mukoviszidose-krankes Kind gehen. Doch diese Version wurde nie rechtskräftig, da Helga sie nicht mehr unterschreiben konnte. „Nach Helgas Tod habe ich einige Interviews gegeben und alles, was ich dafür bekam, diesem Kind zukommen lassen“, so Ulla Klingbeil. „Ich habe im Sinne von Helga das gemacht, was ich machen konnte.“

Helga Hahnemann ist unvergessen

Auch 30 Jahre nach ihrem Tod ist Helga Hahnemann unvergessen; alljährlich wird ihr zu Ehren die „Goldene Henne“, Deutschlands größter Publikumspreis verliehen. Bei ihrem Abschiedsessen im November 91 für ihre Freunde, die Klingbeils, die Bauses und Barbara, bat Helga nur um eins: „Kinder, esst und trinkt, wat ihr wollt. Ick zahl allet. Aber weent nich!“

Warum wir unsere Henne nie vergessen werden

Frank Schöbel

„Ich hatte für Helga ein Studio in Hamburg klargemacht. Sie sollte dort ihre neue Single aufnehmen. Ich war der Produzent. Mir blieb nur, Helgas Gesang zu führen. Sie verlor ihre Scheu vor mir (weil ich ja in ihren Augen Sänger war und sie nicht) und reagierte auf meine musikalischen Vorschläge. Zwischendurch stand sie immer wieder mal in der Küche, schmierte Stullen und meinte: ‚Wo sin wer bloß hinjeraten?‘“

Dieter „Maschine“ Birr

„Auf Tournee in Rumänien hat uns Helga einmal den Abend gerettet: Wir kamen von der Veranstaltung ins Hotel und es gab nichts mehr zu trinken! Das hat Helga so nicht hingenommen: Sie ging in die Küche – und siehe da: Sie kam mit Getränken zurück! Helga war ein sehr freundlicher Mensch. Sie hat für ihren Beruf gebrannt, hat es geliebt, Humor und gute Laune zu verbreiten. Als Künstlerin war sie einfach einmalig!“

Inka Bause

„Am meisten an ihr beeindruckt mich bis heute, wie sie ihre letzten Tage verbrachte. Im Wissen um ihre Krankheit und die kurze ihr verbleibende Zeit kaufte sie noch im KaDeWe Geschenke für ihre Liebsten. Dann ging sie ins Krankenhaus. Bei unserem letzten Besuch gab sie uns Geld für Sekt und sagte: ‚Trinkt heute Abend auf mich.‘ An jenem Abend ist sie verstorben. Unfassbar! Sie war bis zum Schluss ein gebender, großer, warmherziger Mensch. Diese leere Flasche Sekt steht für immer in meinem Schrank. Danke, Henne, für alles!“

IC Falkenberg

„Henne hat jungen Künstlern, die sie beeindruckt haben, immer geholfen. Mir auch. Einmal gab sie mir einen Crashkurs in ,Wirkung auf der Bühne‘. Ich weiß noch, wie wir damals zusammen saßen. Sie fand offenbar gut, was ich gemacht habe. Vielleicht sagte sie in einem Sketch auch deshalb einmal: ‚An meine Haut lasse ich nur Wasser und IC.‘ Das ist heute ein geflügeltes Wort und das ehrt mich. Ihre Berliner Schnauze war nicht nur Programm, es war eine Haltung.“

Chefredakteurin Evelin Matt , Miterfinderin des „Kessel Buntes“

„Sie hatte einen Spruch, der sich durch unsere Arbeitssitzungen zog: ,Keine halben Sachen.‘ Das war ihr Credo. Wir hatten einige Geheimnisse, um ein bisschen zu mogeln, was freche Texte anging. Natürlich im Rahmen des Möglichen. Wir verabredeten: ,Das wird in der Probe nicht gesagt. Aber in der Livesendung.‘ Wir haben keine dritte Person in diese Abmachung eingeweiht.“

Lutz Jahoda

„Schwachpunktentdeckerin Helga Hahnemann: Wenn Helga nicht Kabarettistin geworden wäre und später dem Fach ‚Komikerin‘ eine besondere Note verliehen und letztlich Triumphe damit gefeiert hätte, hätte sie den Beruf der Psychoanalytikerin ergreifen müssen. Wir kannten uns seit meiner Leipziger Theater- und Rundfunkzeit, und da ich dort innerhalb eines knappen Jahres einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt hatte, geriet ich schnell ins Objektiv ihres Interesses – angeregt durch Heinz Quermann, der in einer Großveranstaltung, an der auch ich teilnahm, das Publikum in der Leipziger Kongresshalle zu ‚Zeugen Jahodas‘ machte. So etwas war Futter für Helga, womit ich privat einen Dauerplatz in ihrem Seelenstudienordner hatte.“