Menü
SUPERillu
Made with in Offenburg
© Anja Jungnickel | SuperIllu
Klimaschutz

Energiewende-Mediation: Konfliktlösung beim Ausbau erneuerbaren Energien

Gerade hat die EU beschleunigte Genehmigungen für Solar- und Windparks beschlossen. Das könnte dem Ausbau von Solar- und Windenergie auch in Deutschland Schub verleihen. Wie dieser konfliktarm ablaufen könnte, darüber sprachen wir mit Energiewende-Mediatorinnen.

Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent des bundesweiten Stromverbrauchs aus Sonne, Wind und Co. kommen. 2022 waren es noch 47 Prozent. Die Bundesregierung hat deshalb zahlreiche Gesetzesänderungen beschlossen, so soll u.a. die Neufassung des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) den Ausbau von Wind- und Solaranlagen voranbringen und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Das ist Konsens in der EU.

Weil der Ausbau im Interesse aller liegt, zunächst aber in das unmittelbare Umfeld Einzelner eingreift, bringt er oft Konflikte mit sich. Unter anderem das Land Brandenburg stellt deshalb Gelder bereit, mit denen Konfliktparteien sich von Mediatoren des Kompetenzzentrums Naturschutz und Energiewende begleiten lassen können. Diese sind bundesweit im Einsatz.

In Europa wird Deutschland  den mit Abstand größten Ausbau der grünen Energie aufweisen.

Fatih Birol, Direktor der Internationalen Energieagentur (IEA)

Frau Heider, Frau Boretzki, Sie sind auf Konflikte rund um die Energiewende spezialisiert. Wann werden Sie gerufen?

Emanuela Boretzki: Wenn es eigentlich zu spät ist.

Wiebke Heider: Wenn die Regionalplanung eines Wind- oder Solarparks beginnt, können Bürger viel mitbestimmen, vor allem beim Wind. Aber es interessiert sie in dem Moment nicht. Alle hoffen, es trifft den Nachbarn. Dann wird die Planung konkreter. Erst wenn Bürger erkennen, dass die Anlage auf ihrem Feld errichtet wird, möchten sie mitreden. Doch dann sind nicht mehr viele Entscheidungen möglich.

Informieren sich Bürger zu wenig?

Heider: Ja, jeder hat zu tun und wenig Zeit. Gemeinden oder Landkreise müssen jetzt sagen: ‚Hört her, es kommt was auf uns zu‘. Transparenz von Anfang an, mindert Aggressionspotenzial.

Boretzki: Man muss aber auch ins Amtsblatt gucken. Ich nenne das Bring- und Holschuld. Der meist ehrenamtliche Bürgermeister hängt es aus, die Bewohner müssen es lesen.

Seit 2022 müsste jeder verstanden haben, dass wir mehr grüne Energie brauchen, oder?

Boretzki: Es zeichnet sich ab, dass vermehrt Anlagen entstehen werden.

Heider: Bürgermeister sollten jetzt mit ihrer Gemeinde reden und mit uns als Moderatoren das Vorgehen planen. Gemeinsam kann man Bedingungen festlegen. Das ist Arbeit. Es geht darum, wer was bekommt. Auch Ortsvorsteher sind Teil des Konflikts, oft entsteht ein Solarpark zwischen mehreren Orten.

© Anja Jungnickel | SuperIllu
Wird der Strom durch den Bau eines Solarparks günstiger, ist es für Gemeinden erträglicher, so die Expertinnen.

Wie gehen Sie vor, wenn im Ort schon alle zerstritten sind?

Boretzki: Anfangs begegnet man uns mit viel Abwehr. Wir übernehmen einen Haufen Scherben und fangen an zu puzzeln.

Heider: Mitunter verläuft der Konflikt zwischen Alteingesessen und Hinzugezogenen, die alles Ersparte in ihren Traum vom Haus gesteckt haben. Die Alten sind dafür, hoffen auf mehr Gewerbesteuer und günstigeren Strom. Die Neuen wollen ihre Vorstellung von der Landidylle erhalten. Wir laden zum Perspektivwechsel ein. Die „Immobilie“ bringt es mit sich, nicht mobil zu sein. Man muss nach einer Lösung suchen, die es erträglicher macht.

Heider: Veränderungen verunsichern viele Menschen zunächst. Wir erleben Widerstand, Wut, Schmerz. Wir nehmen das nicht persönlich, es ist normal. Wir sprechen mit jedem Beteiligten, hören Befürchtungen, Sorgen, Wünsche an.

Welche Sorgen sind das?

Boretzki: Immer die gleichen. Solarpanele blenden, man will die Rückseite nicht sehen, da leben Eidechsen, was wird aus der Anlage, wenn sie ausgedient hat. Naturschutz und Nachhaltigkeit sind mitunter vorgeschoben. Widerstand ist eine Form der Beteiligung, weil viele nicht wissen, was sie sonst tun können. Es herrscht das Gefühl vor, die da oben bestimmen was.

Heider: Neid ist auch ein Thema, das meist nicht offen benannt wird. Keiner sagt ‚ich gönne dem anderen das Einkommen nicht‘, etwa wenn es um ein Solarfeld geht.

Wie entkräften Sie die Argumente?

Heider: Gar nicht. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir hören zu. Das entlastet Menschen und hilft Vertrauen aufzubauen. Es geht um Wertschätzung.

Boretzki: Und dann fragen wir, was sich die Betroffenen wünschen. Die Anlage wird da bald stehen, was braucht ihr, um es erträglich zu finden? Dann heißt es, ‚wenn da eine Hecke wäre, müsste ich es nicht sehen.‘ Das ist realistisch. So blendet das Solarfeld nicht und man sieht das schwarze Meer aus Panelen nicht.

In den nächsten Jahren werden so viele neue Kapazitäten geschaffen wie in den vergangenen 20 Jahren zusammen.

Fatih Birol, Direktor der Internationalen Energieagentur (IEA), über den Boom der erneuerbaren Energie

Eine Hecke. Ist es so leicht, wie es klingt?

Heider: Na ja, die kostet Geld. Der Vorhabenträger muss Land dazu kaufen, die Hecke muss mit Abstand zur Anlage gepflanzt werden. Wahrscheinlich muss dann eine Solarreihe weggelassen werden, der Träger verdient weniger. Das sind Details, die so wichtig sind in der Mediation.

Boretzki: Wir sind Moderatoren, oft übersetzen wir Fach- in Allgemeinsprache.

Sie sagen, es gebe das Gefühl, die da oben bestimmen. Wie könnte es besser laufen?

Heider: Meist müssen Ortsbürgermeister alle Anfeindungen aushalten, nicht Landtags- oder Bundestagsabgeordnete, die an den Entscheidungen beteiligt waren. Das ist ungerecht, sie müssten das vor Ort vertreten. Wenn Bürger von Anfang in die Prozesse einbezogen werden, könnte man sich manche Extrarunde sparen.

Boretzki: Es geht auch um Glaubwürdigkeit. Wir fragen mitunter externe Gutachter an, die bereits existierende Gutachten erneut bewerten sollen.

Wie lösen sich solche Knoten ohne Hilfe von außen auf?

Heider: Gerichtlich, in jahrelangen Prozessen, mit hohen Anwaltskosten und viel Zeit. Nicht selten verlieren Bürger Verfahren, weil die Gesetzeslage die Errichtung der Anlagen erlaubt.

© Anja Jungnickel | SuperIllu
Die Mediatorinnen visualisieren mittels einer Software zukünftige Wind- oder Solarparks. Betroffene entwickeln so eine Idee von der Veränderung in ihrem Umfeld.

Was, wenn man sich damit nicht abfinden kann?

Boretzki: Das gibt es. So ein Verfahren endet immer im Kompromiss, nicht in 100 Prozent Zufriedenheit. Erträglicher wird es, wenn man mitbestimmt hat und die Gemeinde finanziell etwas davon hat, eventuell der eigene Strompreis sinkt.

Ein Vorurteil ist, in der Großstadt würden Entscheidungen getroffen, die ländliche Regionen muss sie ausbaden…

Boretzki: Das Argument kommt. Dafür haben Großstädter immer Verkehr vor der Tür, das Land hat Ruhe. Wir hören oft den Satz ‚Ich bin nicht gegen erneuerbare Energien, aber warum hier?‘ Dann sagen wir: Was schlagen Sie denn vor?

Ansprechpartner

Das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende vermittelt ausgebildete Mediatoren zur Konfliktlösung. Infos: naturschutz-energiewende.de/mediation/