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© Uwe Toelle | SuperIllu
Interview mit Musiker

Andrej Hermlin: Konzerte gegen Antisemitismus

Andrej Hermlin fordert ein härteres Vorgehen gegen wachsenden Antisemitismus, nimmt die AfD gegen Verbotsforderungen in Schutz – und sorgt sich um unsere Demokratie.

Herr Hermlin, seit 1990 sind Sie Mitglied der PDS bzw. der Linkspartei gewesen. Nun sind Sie ausgetreten. Sie hat gestört, dass die Partei sich nach den Massenmorden der Hamas am 7. Oktober 2023 nicht klar auf die Seite Israels stellte...

Ich bedauere das sehr, weil ich glaube, dass Deutschland eine linke Partei dringend nötig hat. Aber es ging nicht anders. Der Parteivorstand verurteilt die Massaker nur halbherzig. Er glaubte, Israel vor dem Einsatz des Militärs warnen zu müssen, und relativierte den Genozid an den Juden mit dem Hinweis auf die Besatzungspolitik Israels. Dabei weiß jeder halbwegs Informierte, dass das israelische Militär Gaza schon vor fast 20 Jahren verlassen hat. Die teils erbärmlichen Lebensbedingungen der dortigen Bevölkerung sind in erster Linie auf die Diktatur des korrupten Hamas-Regimes zurückzuführen. In 33 Jahren bei der Partei habe ich viel ertragen. Jetzt ist Schluss! Ich bin insgesamt geschockt darüber, dass sehr viele, die sich für politisch links halten, den arabischen Terror gegen Juden und den Antisemitismus relativieren oder sogar mit ihm sympathisieren.

Die SED lieferte zur DDR-Zeit sogar Waffen an arabische Staaten und die PLO, die Israel vernichten wollten. Sie weigerte sich, Israel als Staat anzuerkennen, fühlte sich trotz des Holocausts nicht in der Pflicht. Ihre Familie ist väterlicherseits jüdischer Herkunft. Ihr Vater, der Schriftsteller Stephan Hermlin, überlebte nur knapp den Holocaust. Wie gingen Sie damit um?

Mein Vater war nicht religiös, trotzdem hat seine jüdische Herkunft für ihn natürlich eine Rolle gespielt. Die Feindschaft der DDR gegenüber Israel war belastend. Öffentliche Debatten darüber verboten sich, weil wir in einem Land lebten, in dem nicht offen gesprochen werden konnte. Ich bin antisemitischen Tendenzen immer wieder begegnet, vor und nach 1989. Die Wucht, mit der das jetzt geschieht, ist trotzdem selbst für mich überraschend und erschütternd: Studenten, die jüdische Kommilitonen aus der Uni werfen; Vertreter von ‚Black Lives Matter‘, die Partei ergreifen für arabische Terror-Organisationen, die Israel vernichten wollen...

© PR
Hermlin und seine Swingin‘ Hermlins. Mit dabei sind auch Sohn David (2. v. r.) und Tochter Rachel (links).

Heimkonzerte der Hoffnung

Anfang Januar feierten Andrej Hermlin und seine Swingin‘ Hermlins ihr 1000. Hauskonzert. Schon seit Beginn der Corona- Pandemie im März 2020 swingen sie in kleiner Besetzung (dazu gehören auch Hermlins Sohn David und seine Tochter Rachel) im Wohnzimmer seines Hauses in Berlin – per Internetstreaming übertragen in alle Welt. „Wir wollten und wollen damit vor allem ein Zeichen der Hoffnung setzen“, so Hermlin. Auch wenn er nach dem Ende der Corona-Lockdowns längst wieder mit seiner Bigband, dem Andrej Hermlin Swing Dance Orchestra oder mit den Swingin‘ Hermlins auf Bühnen unterwegs ist, gehen die Internet-Konzerte weiter und haben inzwischen ein weltweites treues Publikum gefunden. Zur 1000. Sendung kamen Fans persönlich vorbei, brachten u. a. Geburtstagstorten. Zu sehen sind die Heimkonzerte unter anderem hier: facebook.com/andrej.hermlin

Geschockt hat aber auch, dass Araber, viele als Flüchtlinge eingereist, auf deutschen Straßen über die arabischen Massenmorde an Juden jubelten. Jüdische Deutsche beklagen, sie müssten wieder um ihr Leben fürchten...

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat schon vor zwei Jahren gesagt, er würde Juden nicht empfehlen, mit einer Kippa durch Berlin-Neukölln zu gehen. Ich finde es recht merkwürdig, wenn ein nichtjüdischer Deutscher Juden empfiehlt, wie sie sich in Deutschland zu verhalten haben. Müsste es nicht ganz anders sein? Müsste es nicht so sein, dass ein Vertreter der Bundesregierung sagt, wir gehen mit Tausenden Menschen, Juden und Nichtjuden, mit einer Kippa auf dem Kopf, nach Neukölln und links und rechts marschiert die Polizei und sorgt dort für Ordnung – und dafür, dass wir so einem Mob nicht die Straße überlassen, ob er nun migrantischer oder nicht migrantischer Herkunft ist? Müssten wir nicht gemeinsam unsere Stimme erheben, wenn in deutschen Universitäten wie 1933 antisemitische Studenten versuchen, Juden aus den Hörsälen zu vertreiben? Stattdessen lassen wir das geschehen und gucken tatenlos zu und beschränken uns auf Sonntagsreden von einigen Vertretern der Bundesregierung. Wenn wir so weitermachen, dann verlieren wir dieses Land. Dann verlieren wir die Republik!

© Uwe Toelle | SuperIllu
Hermlin und seine Frau Joyce kümmern sich persönlich um die Übertragungstechnik.

Wie sollen wir denn mit diesem „importierten“ Antisemitismus umgehen?

Wir haben einen erheblichen Anteil an Menschen in unserer Bevölkerung, die aus anderen Ländern zu uns gekommen sind oder deren Eltern vor Jahren nach Deutschland eingewandert sind. Viele Jüngere sind hier geboren. Aber manche teilen ganz offensichtlich bestimmte Werte nicht, die uns eigentlich heilig sein sollten. Und ich bin schon der Meinung, dass in einem Land wie Deutschland Gesetze und Regeln gelten sollten, wie in anderen Ländern übrigens auch, und dass man sich daran zu halten hat. Und wer sich daran nicht hält, müsste dafür Konsequenzen spüren. Leider ist das aber nicht der Fall.

Klingt das nicht etwas nach AfD? Die schmiedet angeblich Pläne, alle Migranten rauszuschmeißen - arabische Antisemiten inklusive. Gleichzeitig wird der AfD aber selbst vorgeworfen, antisemitisch zu sein...

Antisemitismus ist ein weltweites Problem. Da bringt es wenig, irgendjemanden rauszuschmeißen. Antisemitismus ist bedrohlich, egal von wem er kommt, von Migranten oder Nicht-Migranten. Er gefährdet das jüdische Leben in Deutschland. Die AfD äußert sich nach meiner Wahrnehmung relativ selten antisemitisch, was nicht unbedingt aus Überzeugung geschieht, sondern möglicherweise nur taktischem Kalkül geschuldet ist. Es gibt im Moment wieder einmal die Forderung nach einem Verbot der AfD. Das ist für mich eher ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Man kann nicht eine Partei verbieten, die von zehn Millionen Deutschen unterstützt wird. Man kann es versuchen, es wird ohnehin scheitern – und es wird eher das Gegenteil von dem bewirken, was man will.

Was sollte die Politik tun?

Von unseren Politikern erwarte ich, dass sie auf diese Krise reagieren und nicht den Kopf in den Sand stecken und nur Durchhalteparolen und Beschönigungen verbreiten. Das erinnert mich fatal an die DDR Ende der 1980er Jahre. Ich erwarte eine ehrliche Diagnose: Was ist los mit dem Patienten Deutschland? Wir müssen uns der Realität stellen. Dazu gehört eine offene Debatte über den Antisemitismus. Aber dazu gehören auch ganz andere Fragen: Warum gibt es so ein Misstrauen gegenüber der Regierung, der Presse? Ist es begründet? Wir diskutieren über alle möglichen marginalen Fragen, stellen aber die zentrale Frage nicht: Ist die Bevölkerung noch auf unserer Seite? Teilt die Mehrheit die Werte dieser parlamentarischen Demokratie noch? Wenn die maßgeblichen Protagonisten in der Politik und in der Presse nur noch ausgelacht und verachtet werden von großen Teilen der deutschen Bevölkerung, bedroht dies die Stabilität des Landes. Als Krenz und Schabowski im Herbst 1989 anfingen, die Probleme in der DDR offen zu benennen, wurden sie nur noch ausgelacht. Hätte Honecker dasselbe einige Jahre früher angesprochen, wäre er zwar auch gescheitert, er wäre aber zweifellos als Reformer gefeiert worden, wie einst Dubcek. Der richtige Zeitpunkt ist entscheidend. Wenn erst der Kipppunkt erreicht ist, an dem wichtige staatliche Strukturen und Repräsentanten von großen Teilen der Bevölkerung nicht mehr ernst genommen werden, verachtet werden, gehasst werden, dann können diese Repräsentanten nichts mehr bewirken.