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Uwe Steimle & Ilko-Sascha Kowalczuk: Das große (Streit-)Gespräch

Kabarettist Uwe Steimle, 59, und Historiker Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk, 55, sind zwei prominente Ostdeutsche mit recht unterschiedlichen Ansichten dazu, was damals war – aber auch zum Hier und Heute. In einem von SuperIllu moderierten Gespräch suchen sie nach Gemeinsamkeiten.

Sie sind beide aus dem Osten. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit ihrem Leben in der DDR?

Steimle: Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen. Für mich war es die Heimat. Mein Vater war Berufsunteroffizier bei der NVA, meine Mutter im Staatsarchiv, also beim Ministerium des Inneren. Sie hätten mich natürlich gerne zu einem treuen DDR-Bürger erzogen. Aber wer will schon werden wie seine Eltern? Mich haben die Bücher erzogen, die ich gelesen habe, Stefan Zweig oder Hermann Hesse. Ich sah alles sehr kritisch, nicht umsonst bin ich beim Kabarett gelandet, in der Herkuleskeule. In meinen Kaderakten stand: „Ist schwierig, unberechenbar, Querulant. Ist im Ernstfall zu internieren.“ Wenn es die DDR noch gäbe, würde ich deswegen wohl gar nicht mehr leben, die hätten mich abgeholt.

Kowalzcuk: Mein Vater war anders als die meisten SED-Mitglieder nicht aus Opportunismus, sondern voller Überzeugung in der Partei, ein Vollblut-Kommunist, der immer zuletzt an sich selbst dachte. Er erzog mich in diesem Sinne. Als ich 12 war, wollte ich Berufsoffizier werden. Aber mit 14 habe ich es mir anderes überlegt. Als ich meine Zusage, Offizier zu werden, widerrief, behandelten mich der Staat, die Partei, die Stasi und mein Vater wie einen Staatsfeind. „Deine Zukunft ist vorbei“, wurde mir gesagt. Als die DDR unterging, war das für mich ein Freudentag. Nichts von diesem System war erhaltenswert! Ich tanzte und tanze bis heute voller Inbrunst auf dem Grab der DDR!

Steimle: Über den Mauerfall und die Kehre habe ich mich gefreut. Aber als die DDR wenig später unterging, habe ich geweint. Weil ich wusste, dass mein Traum von einem demokratischen Sozialismus damit zunichtegemacht wird. Ich hätte mir gewünscht, dass wir eine Alternative zu diesem räuberischen brutalen Turbo-Wachstums-Kapitalismus gefunden hätten. Ein Land, in dem wahrlich Frieden herrscht. Freiheit ist wichtig, klar. Aber ohne Frieden nützt dir auch die Freiheit nichts. Frieden ist, wo zwischen jedem Volk und jedem einzelnen Menschen Gerechtigkeit herrscht. Wir haben zur DDR-Zeit im Frieden gelebt.

Kowalczuk: Wir haben heute bei uns allemal wesentlich mehr Frieden als damals. Und auch mehr Gerechtigkeit. Frieden ohne Freiheit gibt es nicht – für mich ist nichts wichtiger als Freiheit. Es gibt keinen Ort der Welt, wo alles optimal ist. Die Idee des Kommunismus war gescheitert, als Lenin und Stalin Millionen Menschen ermordeten. Und später ist die Idee des „demokratischen Sozialismus“ immer wieder von Kommunisten niedergemacht worden, wie in Prag 1968. Vielleicht sind wir uns darin einig: Auch ich war mit der Art der Wiedervereinigung nicht so glücklich, zum Beispiel über den Ausgang der Volkskammerwahl 1990. Die meisten Ostdeutschen haben dort für Parteien gestimmt, die für eine schnelle Wiedervereinigung nach Artikel 23 eintraten. Ich war auch für die Einheit, aber für einen langsamen Beitrittsprozess nach Artikel 146 des Grundgesetzes. Geschichte läuft fast nie so, wie man sie gern hätte.

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Uwe Steimle

Sachsens spitzeste Zunge wurde 1963 in Dresden geboren. Bekannt wurde er als Kabarettist, TV-Kommissar und der Sendung „Steimles Welt“ im MDR – die 2019 abrupt vom Sender abgesetzt wurde. Aktuell sendet er auf Youtube „Steimles Aktuelle Kamera“, tourt mit Kabarett („MIR san MIR“) durch den Osten. Infos: uwesteimle.de

Über den Mauerfall und die Kehre habe ich mich gefreut. Aber als die DDR wenig später unterging, habe ich geweint!

Uwe Steimle

Herr Steimle, Sie haben nach der Wende das Wort „Ostalgie“ erfunden? Ist es legitim, der DDR-Zeit hinterherzutrauern?

Steimle: Es war der Name unseres Bühnenprogramms, 1992. Mit dem Wort Ostalgie wollten wir uns eigentlich selber auf die Schippe nehmen. Rausgekommen ist, dass mir vorgeworfen würde, ich würde die DDR verherrlichen. Dabei war das Gegenteil der Fall. Wie Peter Sodann so schön sagte: „Wir wollen die DDR nicht wiederhaben. Aber wir wollen sie uns auch nicht nehmen lassen.“

Kowalczuk: Ein sehr treffendes Zitat, köstlich! Da sind wir nah beieinander. Nostalgie ist ein Grundnahrungsmittel von Menschen. Jede Generation schaut gerne zurück und sucht eine Sicherheit, die die Gegenwart nie bietet, in der Verklärung der Vergangenheit. Das ist menschlich verständlich. Ich hatte nie Verständnis dafür, wenn Wissenschaftler wie Hubertus Knabe schon vor der Wiederkehr der SED-Diktatur warnten, wenn ein paar Typen mit FDJ-Emblemen herumstolzierten. Man sollte das einfach weglachen! Solange man bei sachlichen Debatten auch den Fakten ins Auge blickt. Was der Westen dabei übrigens nie verstanden hat: Dass die härtesten politischen Debatten über die DDR nicht zwischen Ost und West stattfinden - sondern immer zwischen Ostdeutschen.

Zum Beispiel jetzt sicher gleich zwischen Ihnen beiden, wenn wir Sie - als zwei Ostdeutsche - bitten, uns in aller Kürze Ihre Einschätzung zu Russlands Krieg in der Ukraine zu schildern…

Steimle: Ich heiße nicht eine Sekunde gut, was Putin macht. Das ist furchtbar und grauenvoll - auch wenn es eine Vorgeschichte hat. Wo soll das enden, wenn wir immer nur mehr Waffen liefern? Im Atomkrieg? Wir müssen doch eine friedliche Lösung suchen. Und welche Rolle spielen da die USA? Deutschland und die anderen Nato-Länder sind doch bei all diesen Konflikten nur der willige Erfüllungsgehilfe der USA. Irak, Libyen, das waren doch auch Angriffskriege der USA, wo blieb da der Aufschrei? Ich finde es auch eine Zumutung, dass Frau Baerbock als oberste Diplomatin ständig Öl ins Feuer gießt.

Kowalczuk: Glücklicherweise sind wir in der Nato, glücklicherweise gibt es dieses Verteidigungsbündnis, sonst würde Putin diesen Krieg wahrscheinlich in der Tat inzwischen vor unseren Häusern führen. Ich weiß: Viele Ostdeutsche sehen das anders und fremdeln stark mit dem westlichen Bündnis und dem Westen insgesamt. Das sind Spätwirkungen der SED-Propaganda und des Transformationsschocks der 1990er und 2000er-Jahre. Damals hat sich ein Großteil der Ostdeutschen aus Enttäuschung vom Westen abgewandt. Dass sie so enttäuscht waren, lag auch an Versprechungen des Westens, die er nicht einhalten konnte. Aber auch daran, dass viele im Osten zu lange daran geglaubt haben, die neue Welt sei so glänzend und blütenrein wie in der Ariel-Werbung im Westfernsehen. Außerdem gibt es im Osten einen tief verinnerlichten Anti-Amerikanismus, der aus der Indoktrination vor 1989 herrührt. Das verführt leider zu der Einstellung: „Ich mache mich gemein mit dem größten Feind meines Feindes.“ Und das ist Putin. Dabei gab es doch selten in der Weltgeschichte eine so klare Sachlage wie in diesem Fall. Warum demonstriert keiner vor der russischen Botschaft gegen den Aggressor? Weil es um Protest „gegen den Westen“ geht.

Nichts von diesem System war erhaltenswert. Ich tanzte und tanze bis heute voller Inbrunst auf dem Grab der DDR!

Ilko-Sascha Kowalczuk 

Zu diesem heißen Thema werden Sie sich wohl hier nicht einig werden. Nehmen wir ein anderes: Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD) stellte gerade eine Studie vor - mit dem wenig überraschenden Ergebnis, dass immer noch viel zu wenig Ostdeutsche in Führungspositionen sitzen…

Steimle: Das ist ein Skandal. Fast alle Führungsjobs sind mit Menschen aus der BRD besetzt, 90 Prozent oder mehr.

Kowalczuk: Selbst in den Medien, fast alle Journalisten oder Experten, die uns den Osten und die DDR erklären, kommen aus dem Westen. Man stelle sich vor, in Bayern wäre das so und 90 Prozent der Menschen, die in Bayern den Bayern ihre Geschichte erklären, kämen aus Schleswig-Holstein. Undenkbar! Das gäbe einen Aufstand.

Steimle: Genau, das geht doch nicht. Wieso haben wir in Dresden eine Direktorin der Staatlichen Kunstsammlungen aus der BRD. Wir sind ein besetztes Land!

Kowalczuk: Nein! Wir sind natürlich kein besetztes Land. Und in der Bundesrepublik leben wir alle. Aber 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist es ein großes Defizit, dass auch in der nun schon nächsten Generation immer noch viel zu wenige Ostler oben mitmischen, in der Kultur, in der Wirtschaft, in der Verwaltung, in der Wissenschaft. Dafür sehe ich zum Beispiel zwei Gründen. Zum einen haben es Ostdeutsche sehr schwer, in jene Netzwerke zu kommen, aus denen die Führungskräfte kommen, weil ihren Familien dazu oft einfach das Geld fehlt und das BAföG nicht für die Elite-Unis dieser Welt reicht. Zum Zweiten generieren sich Eliten oft aus sich selbst. Der scheidende westdeutsche Chef protegiert als Nachfolger einen, der ihm ähnlich ist. Und der ist wie er dann auch aus dem Westen, oder so ähnlich. Das muss sich ändern. Das kann, muss einen aber auch nicht verbittern.

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Ilko-Sascha Kowalczuk

Er wurde 1967 in Ost-Berlin geboren, schrieb Bestseller zur ostdeutschen Geschichte wie zur Revolution 1989 („Endspiel“) und zur Treuhand-Zeit („Die Übernahme“),  beriet TV-Produktionen wie „Weissensee“. Er ist unter Deutschlands  führenden Historikern einer der wenigen, die aus dem Osten stammen.

Wir leben wieder wie 1989 in einer revolutionären Situation. Die da oben können nicht mehr, die da unten wollen nicht mehr.

Uwe Steimle

Für Aufsehen sorgt, dass viele Ostdeutsche auf die Straße gehen oder Protest wählen. Zu Schlüsselthemen, nicht nur zu Putin, sondern zum Beispiel auch zum Migrationsstreit oder zur Klimapolitik, gibt es vielleicht zwar nicht komplett verschiedene Meinungen in Ost und West. Aber eindeutig ein sehr unterschiedliches Meinungsbild. Wie schätzen Sie das ein?

Steimle: Wir leben wieder wie 1989 in einer revolutionären Situation. Die da oben können nicht mehr und die da unten wollen nicht mehr, genau wie damals.

Kowalczuk: Über diesen unzutreffenden Vergleich kann ich nur lachen. Das fängt schon damit an, dass es zwischen denen, die 1989 auf die Straße gingen, und denen, die heute für Pegida oder die AfD auf die Straße gehen, nicht allzu viele personelle Überschneidungen gibt. Diese Proteste werden auch medial überzeichnet. Sie sind doch erst durch die ausführliche Berichterstattung so prominent geworden. Und durch die Tatsache, dass durch die Vernetzung in den Sozialen Medien im Internet offenbar viele dieser Wutbürger den falschen Eindruck haben, dass sie ganz viele Gleichgesinnte hätten. Natürlich muss man sich damit auseinandersetzen, wo diese Wut herkommt. Viele Ostdeutsche haben ein falsches Verständnis, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Wir leben eben nicht in einer Basisdemokratie, sondern einer repräsentativen Demokratie. Da bekommt eben nicht jeder gleich und sofort seinen Willen, sondern da geht es um demokratische Aushandlungsprozesse, um die Suche nach Mehrheiten, mit oft langen Entscheidungswegen und Kompromissen. Da ist Geduld und Kompromissbereitschaft gefragt und nicht Wut und Sturköpfigkeit. Dass haben im Westen, mit schon 70 Jahren Demokratie, weit mehr Menschen verinnerlicht als im Osten. Offenbar ging man nach der Wiedervereinigung davon aus, das neue System sei für die Ostdeutschen selbsterklärend und hat zu wenig für die politische Bildung getan.

Steimle: Ich wurde mal angefeindet als linke Sau und dann als rechtes Schwein. Und bin mit fadenscheiniger Begründung und unter Umständen, die mich an finsterste DDR-Zeiten erinnern, beim MDR entfernt worden. Sogar der Protest von 50000 Zuschauern konnte nichts ändern. Dabei will ich gar nicht polarisieren, sondern Brücken bauen.

Kowalzcuk: Da kann und soll man auch Fragen stellen. Aber mit DDR-Zeiten würde ich das nicht vergleichen. Wer damals in Ungnade fiel, der verlor seine gesamte Existenz, viele mussten sogar das Land verlassen. Das ist bei Ihnen ja nicht der Fall.

Steimle: Nein, mir geht es gut. Fürs Geld habe ich eh nie gearbeitet. Mein Youtube-Kanal Steimles Welt hat manchmal 300000 Aufrufe pro Woche und viele Menschen kommen zu meinen Auftritten.

Kowalczuk: Na sehen Sie. In der DDR säßen Sie im Knast, in Russland im Lager. Also doch alles anders.

Die Einheit ist besser gelaufen als ihr Ruf. Aber viel schlechter als sie hätte laufen müssen. West wie Ost haben Fehler gemacht.

Ilko-Sascha Kowalczuk

Sie leben beide schon länger im wiedervereinten Deutschland als damals in der DDR. Wie ist Ihre Bilanz?

Kowalczuk: Die deutsche Einheit ist besser gelaufen als ihr Ruf. Aber viel schlechter, als sie hätte laufen müssen. West wie Ost haben Fehler gemacht.

Steimle: Viele haben sich so gewendet, die stehen schon wieder in derselben Richtung. Ich wünschte mir, dass wir einander öfter zuhören. Und dass haben wir hier mal wieder getan, was mich sehr freut.

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Nach anderthalb Stunden Streitgespräch bei SuperIllu reichen sich Uwe Steimle (l.) und Ilko-Sascha Kowalczuk versöhnlich die Hand – und sind seitdem übrigens auch beim „Du“.