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© Anja Jungnickel für SUPERillu
Hausbesuch bei Erika Schirmer

Dirk Michaelis und die „Kleine weiße Friedenstaube“-Autorin

Vor 70 Jahren schuf sie den DDR-Kinderliedklassiker. Warum der Musiker sich gemeinsam mit SUPERillu auf den Weg nach Thüringen zu der 93-Jährigen machte – und: die bewegende Entstehungsgeschichte des Kultsongs ...

© Anja Jungnickel für SUPERillu
Trafen sich in der Seniorenresidenz der Autorin bei Nordhausen/Thüringen: Dirk Michaelis, Erika Schirmer und Björn Wolfram (SUPERillu)

Erika Schirmer ist die Autorin des DDR-Kinderlieds „Kleine weiße Friedenstaube“, welches sie 1949 schrieb. Wir trafen sie zusammen mit Dirk Michaelis, denn der Musiker hat in zweierlei Hinsicht eine Verbindung zu dem Kultsong …

„Ach wie schön, kommen Sie herein!“ Freudig springt Erika Schirmer von ihrem Schreibtisch auf und begrüßt uns in ihrer Seniorenresidenz am Rande des Harzes. Kaum zu glauben, dass diese Frau 93 Jahre alt ist! Unglaublich auch: die Geschichte von „Kleine weiße Friedenstaube“, jenem Klassiker des DDR-Kinderliedguts, der vor genau 70 Jahren entstand.

Als Heimatvertriebene landete die gebürtige Schlesierin nach dem Zweiten Weltkrieg im thüringischen Nordhausen, arbeitete zunächst als Kindergärtnerin, schrieb währenddessen Lieder und Gedichte. Im Frühjahr 1949, als sie gerade einen Elternbesuch machte, kam es zum Schlüsselmoment: „Hinter mir lag die zerstörte Stadt, und vor mir war ein vernageltes Fenster, an dem ein Plakat klebte."

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Erika Schirmer ist mit ihren 93 Jahren noch immer eine sehr aktive Frau, die sich geistiger und körperlicher Gesundheit erfreut und das Leben liebt

Als ihr Blick im kriegszerstörten Nordhausen auf die Picasso-Taube fiel, entstand in Erika Schirmers Kopf das Lied …

Ein Plakat, das auf die Pariser Weltfriedenskonferenz hinwies und Pablo Picassos († 1973) legendäre Taube zeigte. Schirmer zu SUPERillu: „Als ich das sah, dachte ich: ,Ja, du Taube, da sitzt du nun. Mach dich auf und flieg. Und bringe den Menschen Frieden!‘ In dem Moment entstand das Lied in meinem Kopf. Ich ging in den Kindergarten, sang es meinen Kleinen und den Auszubildenden vor. Die waren alle gleich ganz begeistert. Tja, und so flog die Taube weiter und weiter.“

Erika Schirmer selbst forcierte die Verbreitung keineswegs. Und doch dauerte es nicht lange, bis das Lied zum festen Bestandteil wurde – von Büchern, Schulveranstaltungen, Pioniernachmittagen oder aber feierlichen Anlässen.

Es ist einfach ein reines Lied. Schon als kleiner Junge spürte ich darin ganz viel Hoffnung und Sehnsucht.

Dirk Michaelis über „Kleine weiße Friedenstaube“

Auch Dirk Michaelis, 57, wuchs, wie so viele, mit der Friedenshymne auf, coverte sie für die gerade erschienene CD „Hier lebst du – Unsere liebsten Kinderlieder“ (Argon-Verlag). Bei unserem Besuch ist er dabei, und es ist nicht zu übersehen: Die rüstig­e Dame persönlich zu treffen, ist dem Musiker eine große Freude und auch Ehre: „Es fühlt sich an wie eine Audienz.“ (lacht) Über das Lied sagt er: „Es ist einfach rein. Schon als kleiner Junge spürte ich darin ganz viel Hoffnung und Sehnsucht. Dass ich mich seiner als Erwachsener annehmen würde war letztlich nur eine Frage der Zeit.“

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Zwei, die sich auf Anhieb verstanden: Erika Schirmer und Dirk Michaelis. Die Autorin umarmte den Musiker spontan, nachdem sie sein Video zu „Kleine weiße Friedenstaube“ gesehen  hatte; er war seinerseits gerührt ob der Begegnung

Das Friedenstauben-Lied ist jedoch nur ein ganz kleiner Teil von Erika Schirmers Lebenswerk (2016 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet). Sie war es etwa, die in den Siebzigerjahren, als sie längst Lehrerin war, das erste DDR-Buch für die pädagogische Arbeit mit geistig behinderten Kindern und Jugendlichen entwickelte: Texte, Zeichnungen – alles stammte von ihr.

Ich hatte keine Ahnung, aber ich war entschlossen.

Erika Schirmer

Zuvor hatte sie eine Behindertentagesstätte aufgebaut: „Vom Schulrat war ich gefragt worden, ob ich jemanden kenne, der infrage käme, und ich antwortete: ,Ja, mich!‘ Dabei hatte ich keine Ahnung. (lacht) Aber ich war entschlossen.“

Eine nur allzu bezeichnende Anekdote: Erika Schirmer, die auch für ihre Scherenschnitte bekannt ist, will helfen und Freude verbreiten. Sie packt Dinge an – bis heute: „Gerade plane ich die Weihnachtsfeier hier im Haus. Es wird Lieder, Gedichte und auch einen Film geben.“

Sie und Dirk Michaelis wollen unbedingt in Kontakt bleiben – und nicht nur das: Der Musiker möchte alsbald  Schirmers „Wir pflanzen einen Baum“ in ein musikalisches Gewand hüllen. Das Waldsterben hatte die Autorin in diesem Fall inspiriert. Michaelis lächelnd: „Wer weiß – vielleicht machen wir ja noch ein ganzes Album zusammen ...“